SLOW COUTURE: Ein Gespräch mit Designerin und Trendforscherin Anne Bernecker

© Stephanie Pfaender
© Stephanie Pfaender

Anne Bernecker ist Designerin, Trendberaterin und Dozentin – und seit vielen Jahren eine feste Größe in der internationalen Modewelt. Als Absolventin der Central Saint Martins in London, verfügt sie über enorm viel Erfahrung und arbeitete bereits mit renommierten Marken wie Versace und Temperley London zusammen. Ihre Leidenschaft für Nachhaltigkeit und Innovation spiegelt sich nicht nur in ihrer Arbeit wider, sondern auch in ihrer neuesten Errungenschaft: der Mitgliedschaft im Fashion Council Germany (FCG). Wir sprachen mit Anne Bernecker über ‘Slow Couture’, über die Schönheit des Upcycling und ihre ganz persönliche Vision für eine bessere Modeindustrie.

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Mitgliedschaft im Fashion Council Germany (FCG), liebe Anne! Könnten Sie uns schildern, wie es dazu kam und welche Bedeutung dieser Schritt für Sie und Ihr Schaffen hat?

Ich hatte bereits dreimal die Gelegenheit, meine Arbeiten im Rahmen des Berliner Salons während der Berlin Fashion Week zu präsentieren. Dort traf ich auf weitere Designer:innen, die schon Mitglieder waren. Die Mitgliedschaft im Fashion Council, der sich leidenschaftlich für deutsche Designer:innen und die Modebranche einsetzt, erweist sich als außerordentlich wertvoll. Als Teil des Councils können wir nicht nur eigene Ideen einbringen, sondern profitieren auch von einem umfassenden Überblick über Wettbewerbe, Networking-Veranstaltungen und selbstverständlich die Fashion Week.

Unter dem Leitgedanken „Reuse, Reinvent, Revive“ zelebrieren Sie mit Ihrer Slow Couture die Ästhetik und Geschichte recycelter Kleidungsstücke. Wie entstand diese Idee, und was inspirierte Sie zu diesem nachhaltigen Ansatz?

Meine 15-jährige Erfahrung als international tätige Designerin, unter anderem für Versace und Temperley London, konfrontierte mich mit der erheblichen Verschwendung von Ressourcen, an der ich mich ebenfalls beteiligte. Der Entschluss, eine eigene Kollektion zu entwickeln, führte schnell zu der Erkenntnis, dass neu produzierte Mode nicht zwingend erforderlich ist. Angesichts der Überproduktion und des Überangebots lag mir viel daran, Bestehendes aufzuwerten und seinen Lebenszyklus zu verlängern.

“Meine 15-jährige Erfahrung als Designerin konfrontierte mich mit der erheblichen Verschwendung von Ressourcen, an der ich mich ebenfalls beteiligte.”

Erzählen Sie uns von Ihrem ersten unvergesslichen Moment in der Modewelt.

Da gibt es viele: Das Eröffnen der Modenschau am Central Saint Martins in London 1997 mit meiner Kollektion, zum Beispiel. Oder die Zusammenarbeit mit Donatella Versace und das Präsentieren meiner Entwürfe auf der Mailänder Fashion Week. Besondere Höhepunkte meiner eigenen Kollektion waren die Premiere im Dach Showroom in Paris im Oktober 2022 und die erstmalige Teilnahme am Berliner Salon im Januar 2023.

Die Basis Ihrer Kollektion bilden Vintage-Kleidungsstücke. Können Sie uns verraten, wie und wo Sie diese besonderen Stücke ausfindig machen?

Ein Teil meiner Inspiration stammt aus dem Second-Hand-Laden meiner Mutter. Zudem arbeite ich mit einer Reinigung zusammen, die mir unclaimed Hemden und Sakkos überlässt. Auch Second-Hand-Plattformen und Flohmärkte sind für mich eine wichtige Quelle.

Gibt es ein besonders herausragendes Stück, das Sie aufgearbeitet haben, und woher stammte es?

Das ‘Dorothea Shirt’ ist wohl eines der bedeutendsten Stücke. Es entstand aus alten Stofftaschentüchern der verstorbenen Großmutter meiner Jugendfreundin Kirsten, die nicht wollte, dass diese verloren gehen.

Handwerkskunst, insbesondere Couture-Stickerei, spielt in Ihrem Werk eine zentrale Rolle. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit lokalen Kunsthandwerkern, und warum ist diese Kooperation wichtig für Sie?

Ich kooperiere mit einer renommierten Stickereifirma in Mumbai, dem Zentrum für Hand- und Couture-Stickerei, wo auch große Modehäuser wie Dior, Valentino und Burberry fertigen lassen. Ein Teil der Kollektion wird jedoch in Berlin mit Perlen aus einem Pariser Geschäft von Hand bestickt.

Sie arbeiten auch mit einer indischen Firma zusammen, die Teil des Utthan-NGO-Programms ist, das sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Stickereiarbeiter:innen einsetzt. Wie hat diese Zusammenarbeit Ihre Sicht auf nachhaltige Produktion und soziale Verantwortung beeinflusst? 

Nachhaltige Produktion und soziale Verantwortung waren von Anfang an Teil meiner Brand DNA und meinem Konzept der Kollektion. 

Welche großen Trends zeichnen sich aktuell in der Modewelt ab?

Nachhaltigkeit steht im Mittelpunkt des zeitgenössischen Modediskurses. Eine kritische Haltung der Konsument:innen, insbesondere der Gen Z, setzt die Industrie unter Druck, nachhaltigere Praktiken zu etablieren. In meiner Rolle sehe ich mich sowohl als Aufklärer als auch als Katalysator für Veränderungen.

“Eine kritische Haltung der Konsument:innen, insbesondere der Gen Z, setzt die Industrie unter Druck, nachhaltigere Praktiken zu etablieren.”

Welche gesellschaftlichen, also Konsum- und Lifestyle-Trends sehen Sie derzeit, die sich auf die Mode auswirken, und wie können Designer:innen darauf reagieren, um relevant zu bleiben? 

Wir leben in einer Zeit der Übersättigung. Zu viele Informationen, zu viel Social Media und vor allem auch zu viel Mode bzw. Kleidung. Diese konstante Übersättigung überfordert, so dass meiner Meinung nach besondere Unikate und One-Offs einen größeren Stellenwert bekommen. Ist es nicht wahrer Luxus, etwas zu besitzen, was einmalig ist und nicht in der Masse produziert und konsumiert wird?

“Wir leben in einer Zeit der Übersättigung. Zu viele Informationen, zu viel Social Media und vor allem auch zu viel Mode bzw. Kleidung.”

Viele Protagonist:innen der Berlin Fashion Week haben sich das Thema Nachhaltigkeit auf die Fahne geschrieben. Wie sind Ihre Beobachtungen hier? Gibt es Designer:innen, auf die wir Ihrer Meinung nach ein besonderes Auge werfen sollten?

Selbst bei einer zum Beispiel aus Bio-Baumwolle produzierten Kollektion werden neue Rohstoffe angebaut und verbraucht. Deshalb finde ich alle Brands spannend, die sich, wie ich, auf das Thema Upcycling konzentrieren, wie zum Beispiel SF1OG.

Können Sie uns von Ihren aktuellen und zukünftigen Projekten erzählen?

Mein Ziel ist es, mein Label behutsam zu entwickeln, meinen Kund:innenstamm zu erweitern, mein Netzwerk auszubauen und traditionelle Prozesse in der Modebranche aufzubrechen. Im Einzelhandel strebe ich den Aufbau persönlicher Beziehungen zu ausgewählten Geschäften an, die meine Produkte schätzen, verstehen und ebenfalls neue Wege gehen möchten.

“Mein Ziel ist es, traditionelle Prozesse in der Modebranche aufzubrechen.”

Was ist Ihr ganz persönlicher Wunsch für die Modeindustrie?

Ich wünsche mir ein Umdenken in Bezug auf etablierte Prozesse und Strukturen, mehr Nachhaltigkeit im Handel, eine höhere Wertschätzung von Arbeitskraft und Ressourcen sowie eine tiefere Anerkennung der Mode selbst.